Exposé - Der Holocaust, das Judentum und die Erinnerung. Anmerkungen zu innerjüdischen Deutungen des Holocaust und der Zentralität des Gedächtnisses im Judentum
Dr. Christoph Münz
Die jüdische Religion gilt seit jeher als Beispiel dafür, wie Menschen mit einem Gedächtnis leben. Im Gegensatz zu neueren kollektiven Gedächtnishandlungen trägt das Judentum in seiner Verbundenheit mit den Figuren und Persönlichkeiten der Tradition seine Geschichte(n); will und muss diese erzählen, sie erfahr-, berühr-, schmeck- und fühlbar machen. Die vieltausendjährige jüdische Geschichte fügt sich so in einen Deutungshorizont, der auch leidvolle Erfahrungen in die religiöse Identität zu integrieren weiß. Unerträglich scheint jedoch für viele Juden die Vorstellung auch den Holocaust in ein solches geschichtliches Konzept einzuordnen, ihn in Kontinuität mit der bisherigen Geschichte zu begreifen. Sogenannte Holocaust-Theologen wie Richard Lowell Rubenstein, Emil Ludwig Fackenheim und Irving Greenberg haben daher abseits der allgemeinen wissenschaftlichen Aufmerksamkeit nach neuen |
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Antwortmöglichkeiten auf die große Frage gesucht, die Auschwitz in den Köpfen der Menschen hinterließ. Kann der Glaube an einen „Gott der Geschichte“ nach der Shoa aufrecht erhalten werden? Ist ein Weiterleben nach den Gräueln der Konzentrationslager möglich oder gar nötig? Gibt es noch Hoffnung nach Auschwitz? Diese geschichts-theologischen Ansätze müssen als Maßstab für die Erinnerungsarbeit im Bezug auf den Holocaust gelten, um die Praxis eines wirkmächtigen Eingedenkens in der heutigen Zeit zu ermöglichen.