Erinnern – Gedenken – Mahnen. Anregungen für ein Gedenken im Gottesdienst 9. November 1938 – 9. November 2008 (in Auszügen)
Arbeitsgruppe „Christentum – Judentum“ der Ökumenischen Kommission im Bistum Speyer und Katholische Erwachsenenbildung Diözese Speyer im September 2008
Die 70. Wiederkehr des Jahrestages der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 war eine Herausforderung an die kirchlichen Gemeinden im Land, sich am Gedenken zu beteiligen und in Gottesdiensten zum Gebet zu versammeln. Das Bistum Speyer erarbeitete eine Handreichung zum gottesdienstlichen Gedenken. Diese erinnerte mit einer Skizze an die geschichtlichen Ereignisse, regte zu unterschiedlichen Formen des gottesdienstlichen Zusammenkommens an und legte zu diesen verschiedenen Gottesdienstformen Vorschläge und Anregungen zu den Einführungen, Gebeten, Zeitzeugnissen, Schriftlesungen, Liedern und Fürbitten vor. Die folgende Dokumentation bietet einen Auszug daraus.
Liebe Mitchristen,
in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in Deutschland Synagogen zerstört und geschändet, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser verwüstet. Jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger wurden misshandelt, ermordet und zu zehntausenden in Konzentrationslager verschleppt.
Die Reichspogromnacht, im Nazijargon „Reichskristallnacht“ getitelt, war ein grausamer Markstein in der barbarischen Verfolgungspolitik der Nationalsozialisten, die letztlich die Vernichtung des jüdischen Volkes zum Ziel hatte.
In das Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome und die Opfer der nationalsozialistischen Rassenpolitik insgesamt mischt sich die Scham des Versagens. Das Datum wird für uns bleibend ein Tag der Schande und der Mahnung sein. Auch Kirche und Christen haben zu den Vorgängen damals leider zumeist geschwiegen. Nur wenige halfen oder erhoben ihre Stimme. Im Gedenken wollen wir uns der historischen Verantwortung stellen und ein Zeichen setzen für die Gestaltung einer menschenwürdigen Welt.
Im November 2008 jährt sich zum 70. Male das Geschehen der damaligen Pogrome. Wir sind aufgerufen, uns der Ereignisse auch und gerade im Rahmen des Gottesdienstes zu erinnern.
Die Textbausteine dieses Heftes verstehen Sie bitte als Anregung und Hilfe für ein solches Gedenken in der Eucharistiefeier am 9. November oder – wo möglich in ökumenischer Zusammenarbeit – im Rahmen eines Wortgottesdienstes bzw. einer Vesper am Nachmittag oder Abend dieses Sonntages.
Möge unser Gedenken im Gottesdienst deutlich zum Ausdruck bringen, dass wir in Erinnerung und Umkehr den Schlüssel für eine Weggemeinschaft von Christen und Juden finden.
Speyer, im September 2008
Dr. Karl-Heinz Wiesemann
Bischof von Speyer
Reichspogromnacht – 9./10. November 1938. Ein historisches Stichwort
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurden in zahlreichen Städten und Gemeinden des Deutschen Reiches Menschen jüdischen Glaubens gequält und getötet. Tausende jüdische Synagogen, Einrichtungen, Geschäfte und Wohnungen wurden überfallen, verwüstet, zerstört oder gar in Brand gesteckt.
In einem Brief an Hermann Göring wurden 91 Tote und 267 zerstörte Synagogen als Personen- und Sachschäden der Reichspogromnacht genannt. Von den Nationalsozialisten wurde die gesamte Aktion euphemistisch als „Reichskristallnacht“ getitelt.
Das Attentat des 17-jährigen Juden Herschel Grynszpan – der gegen die gewaltsame Abschiebung seiner Eltern von Deutschland nach Polen protestieren wollte – auf den deutschen Gesandtschaftssekretär Ernst Eduard vom Rath in Paris nahmen die Nationalsozialisten zum Anlass, Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung zu organisieren.
Am 9. November trafen sich, aus Anlass des Jahrestages des gescheiterten Hitler-Ludendorff-Putsches vom 9. November 1923, führende Nationalsozialisten, darunter auch Hitler, mit alten Kämpfern in München. Joseph Goebbels hielt eine antisemitische Hetzrede, in der er „die Juden“ für den Tod vom Raths verantwortlich machte und von ersten Ausschreitungen berichtete. Anwesende SS- und SA-Führer verstanden dies als indirekte aber unmissverständliche Aufforderung zum Handeln.
Die Übergriffe verliefen fast alle nach demselben Schema: NS-Ortsversammlungen wurden einberufen, dort hielten Gauleiter oder Sturmbannführer antisemitische Hetzreden. Anschließend marschierten die Teilnehmer direkt zu jüdischen Geschäften, Wohnungen oder Einrichtungen und zuletzt auch zur Synagoge, um diese zu zerstören.
Die Sicherheitsdienste wurden durch zentrale Rundschreiben aufgefordert, die Aktionen nicht zu behindern, jedoch deutsches Leben und Eigentum zu schützen, Plünderungen jüdischen Eigentums zu verhüten und sofern möglich in allen Bezirken insbesondere wohlhabende gesunde männliche Juden nicht zu hohen Alters festzunehmen.
Die erschütternde Bilanz der Aktion: Im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht starben über 1300 Menschen, wurden über 1400 Synagogen und Betstuben zerstört oder zumindest stark beschädigt. Rund 7500 jüdische Geschäfte, Wohnungen und Einrichtungen wurden zerstört. Ab dem 10. November wurden über 30.000 jüdische Menschen von der Gestapo und der SS verhaftet und in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt.
Die wohlgeplanten Ausschreitungen der Reichspogromnacht waren lediglich einer der Bausteine der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik gegenüber den Juden. Der Terror, der mit den Aufrufen zum Judenboykott 1933 oder den Nürnberger Gesetzen aus dem Jahr 1935 begann, erreichte mit dem 9. November 1938 einen ersten schrecklichen Höhepunkt und endete für sechs Millionen europäische Juden mit dem Tod – in den Gaskammern von Auschwitz, Treblinka, Bergen-Belsen, Dachau, …
Eucharistiefeier am 9. November 2008
Einführung und Fürbitten
Einführungstext zu Beginn der Messfeier:
Heute – am 9. November - feiert die ganze römisch-katholische Kirche das Fest des Weihetages der Lateranbasilika in Rom. Im Lateranpalast residierten die Päpste vom 4. bis zum 14. Jahrhundert – die Lateranbasilika ist die älteste Papstbasilika und führt den Titel „Mutter und Haupt aller Kirchen des Erdkreises“.
Der 9. November 2008 ist aber auch der Tag des Gedenkens, dass vor 70 Jahren in unserem Land über tausend jüdische Synagogen und Betsäle verwüstet oder in Brand gesteckt wurden. Kirche und Christen haben zu den Vorgängen damals leider zumeist geschwiegen. Wir werden heute bei den Fürbitten unser Gedenken zum Ausdruck bringen – denn das Datum des 9. November markiert für uns bleibend einen Tag der Schande und der Mahnung.
Fürbitten:
S:
Wir erinnern an den 9. November
1938.
Wir erinnern an die Übergriffe auf
jüdische Synagogen und ihre heiligen Schriften.
Wir erinnern an die Angriffe auf
die jüdische Bevölkerung unseres Landes
und die Zerstörung ihres
wirtschaftlichen und sozialen Lebens.
Wir gedenken der Opfer des
Nazi-Terrors.
Wir mahnen zum Bekennen von Schuld
und zu Umkehr.
Wir mahnen, der Versuchung zu
widerstehen, die Vergangenheit vergessen zu wollen.
P:
Schwestern und Brüder,
der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs,
der Vater Jesu Christi hat sich als
der geoffenbart,
der den Leidenden nahe ist und sich
der Opfer erinnert,
damit heil wird, was unheil ist.
Ihm tragen wir unsere Bitten vor:
S1:
Ungezählt sind die Toten, die der
Wahn des Nationalsozialismus gefordert hat,
unvorstellbar sind die
Grausamkeiten, die Menschen durch Menschen angetan wurden.
S2:
Wir bitten dich für die Opfer,
gleich welchen Bekenntnisses, welcher politischen Überzeugung, welcher
gesellschaftlichen Gruppe, welcher nationalen Herkunft.
– Stille –
P:
Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – P: Gott, unser Vater
(GL 358.3) Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
Alle:
Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarme dich
S1:
Das Grauen des Nazi-Terrors ist für
viele längst Geschichte – doch manche Opfer leben noch unter uns.
S2:
Wir bitten dich um Rettung und
Trost für die Leidenden, wir flehen um deine Gerechtigkeit, die allein das
Unheil der Geschichte überwinden kann.
– Stille –
P: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – P: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1:
Oft stehen wir in der Versuchung,
die Vergangenheit vergessen zu wollen. Manchmal verdrängen wir das Gestern, um
allein im Heute zu leben.
S2:
Wir bitten dich, der Kirche den
Mut zur Erinnerung zu bewahren, damit aus der Geschichte Widerstand erwächst
gegen alle Menschennot der Gegenwart.
– Stille –
P: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – P: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1:
Terror, Verfolgung, Mord sind auch
heute noch für viele Menschen grausamer Alltag „Menschenwürde“ ist für viele
ein Fremdwort.
S2:
Wir bitten dich um Frieden und
Gerechtigkeit in Fülle für alle Menschen, wir rufen dich an, dass dein Reich
kommen möge.
– Stille –
P: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – P: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
P:
Gott, in aller Not und Bedrängnis
stehst du deinem Volk bei.
Auf dich hoffen wir, dich loben und
preisen wir, heute und alle Tage bis in Ewigkeit.
Alle:
Amen.
Wortgottesdienst – ökumenischer Wortgottesdienst zum 9. November 2008
A. ERÖFFNUNG
- Musik / Lied
- Liturgische Eröffnung
B. GEDENKEN
- Einführung
- Zeitzeugnis
- Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 1+2
- Gebet
- Biblische Lesung: Psalm 12
- Auslegung / geistlicher Impuls
- Musik
- Pogrom-Orte in der Pfalz
- Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 3+4
C. BITTE
- Fürbitten
- Vaterunser
- Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 5+6
D. ABSCHLUSS
- Segensbitte
- Musik / Lied
A. ERÖFFNUNG
Musik
– oder –
Lied (z. B.:)
GL 163, Str. 1+2 / EG 299, Str. 1+3 – Aus tiefer Not schrei ich zu dir
oder
GL Speyer 920, Str. 1+2 – Meine engen Grenzen
Liturgische Eröffnung:
Wir beginnen diesen Gottesdienst
im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Amen.
B. GEDENKEN
Einführung:
S 1:
Wir sind zusammengekommen,
um an die Ereignisse des 9.
November 1938 zu erinnern,
um der Opfer zu gedenken
und um der Versuchung zu
widerstehen, die Vergangenheit vergessen zu wollen.
S 2:
In den Nächten vom 9. bis 12.
November 1938 wurden in Deutschland, Österreich und im Sudetenland mehr als
1.000 Synagogen und Betsäle entweiht und verwüstet, hunderte von ihnen
niedergebrannt. Nazis brachen in die Gebäude ein, zerstörten die Innenräume, Torarollen,
Gebetbücher, sonstiges Inventar und Gemeindeakten. Wo kein Risiko für
Nachbargebäude bestand, legten sie Feuer. Feuerwehren wurden am Löschen
gehindert.
S 1:
Anlass der Ausschreitungen war ein
Attentat des 17jährigen Juden Herschel Grynszpan, der sich aus Deutschland nach
Paris abgesetzt hatte. Er wollte gegen die gewaltsame Abschiebung seiner Eltern
aus Deutschland nach Polen protestieren. In der Deutschen Botschaft in Paris
schoss er auf den Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. An den Folgen der
Schussverletzung starb vom Rath am 9. November 1938. Daraufhin entfesselte die
Naziführung den Pogrom.
S 2:
In jenen Tagen demolierten Nazis
und ihre Helfer außer den Synagogen auch Tausende Geschäfte jüdischer
Eigentümer und Wohnungen jüdischer Bürger, terrorisierten hunderttausende
Menschen und schändeten zahllose Friedhöfe. Sie ermordeten etwa hundert
Menschen, verhafteten 30.000 Männer, verschleppten sie in Konzentrationslager
und misshandelten sie dort wochenlang. Über 2.000 von ihnen kamen zu Tode.
Ein Zeitzeugnis des damaligen Geschehens
S 1:
Für die vielen menschlichen
Schicksale, für das unermessliche menschliche Leid, das Juden angetan wurde,
soll ein Auszug aus den Erinnerungen von Otto Brunner stehen – einem jüdischen
Bürger von Landau, der später in die USA auswanderte.
Er berichtet:
S 2:
„Am Morgen des 10. November stand
ich vor unserem Haus und erwartete wie gewöhnlich die Frankfurter Zeitung durch
unseren Zeitungsträger Flick, als ich auf einmal aus unserer Synagogen-Kuppel
Flammen herausschlagen sah. Es muss so nach 08.00 Uhr gewesen sein. Im Nu
brannte das ganze Gebäude, eine der herrlichsten Bauten der Stadt. Es dauerte
nicht lange, da kam auch schon die Polizei und holte meinen Opel-Kraftwagen,
der in unserer Kellerei stand. Es war so ca. 10.00 Uhr, eine Stunde später –
ich war in meinem Büro – da hörte ich eine heulende Menge in unser Haus
eindringen, und schon klirrten die Scheiben, welche im ersten als auch im
zweiten Stock sämtlich eingeschlagen wurden. Zu meinem Schutze versteckte ich
mich in unserem Geschäftsspeicher. […] Man hätte unsere schöne Wohnung sehen
sollen. Die Teppiche und Sofas waren verschnitten, dazu auch alle Gemälde,
sämtliche Spiegel eingeschlagen, incl.[= inclusive] Klavier und meine Geige, in
der Küche sämtliche Schränke mit allem Porzellangeschirr umgeworfen und
natürlich alles nur noch ein Trümmerhaufen. Im zweiten Stock warf man die Möbel
teilweise zum Fenster hinaus, ein Wunder, dass man selbst unverletzt davon kam.
Im Gefängnis war ich mit dem Vorbeter Zeilberger und Konditor Mai in einer
Zelle untergebracht, und wir hörten Tag und Nacht die Menge vor dem Gebäude
heulen, ja sie versuchten sogar, uns herauszuholen.
Alles wurde mit deutscher
Gründlichkeit zerstört. Am nächsten Tag kamen wir in den Betsaal der Gemeinde,
der in der Schützengasse gelegen war. Wir werden ungefähr 70 Leute gewesen
sein. Stroh wurde zum Schlafen gebracht, und einige Leute wurden bestimmt, die
unter Aufsicht der SS das Essen in einem Restaurant holen mussten. Jede Nacht
war eine Tortur: da kamen die SS-Leute, um ihr Mütchen an den armen
unschuldigen Juden zu kühlen. […]
Bei diesen Orgien, welche die
SS-Leute veranstalteten, mussten die Juden die Kultgegenstände auf dem Kopf
tragen und balancieren: wer es nicht machte, wurde geprügelt, wodurch es –
wahrscheinlich durch Herzschläge – zwei Tote gab, u. a. Salomon Wolff von
Böchingen. Mir selbst passierte, dass ein früherer Brenner und Lieferant […] in
der Nacht, als ich auf dem Stroh mit meiner Brille auf der Nase lag, mir dieselbe
abnahm und ins Stroh warf mit der Bemerkung: „Schläfst Du, Bürschchen, immer
mit der Brille auf?“ So ging dieses Schauspiel jede Nacht, bis wir nach acht
Tagen nach Dachau abtransportiert wurden.“
– Stille –
dann
Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 1 + 2
1. Du forderst zum Gedenken, Herr,
deine Christenheit.
Willst nicht, dass sie vergesse die
böse Zeit.
2. Wir stehn vor dir, betroffen von
unserer Brüder Leid.
Sei du ihr Licht in Dunkel und
Traurigkeit.
Gebet
Lasset uns beten:
Heiliger, unfassbarer Gott,
in deinem Namen sind wir
zusammengerufen,
um uns der Schreckenstaten zu
erinnern,
die in unserem Land geschehen sind.
Du allein ermisst den Abgrund des
Bösen,
du allein sammelst die Tränen der
Opfer,
du allein richtest die Täter.
Wir bitten dich um Wachsamkeit und
Liebe,
damit wir nicht vergessen,
sondern im Geheimnis des Glaubens
begehen,
dass uns in jedem geschundenen
Menschenantlitz
dein Sohn begegnet, Jesus Christus,
der in der Einheit des Heiligen
Geistes mit dir lebt,
Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen.
Biblische Lesung: Psalm 12: Klage über die Macht des Bösen – doch Gott ist treu
1 [Für den Chormeister. Nach der
Achten. Ein Psalm Davids.]
2 Hilf doch, o Herr, die Frommen
schwinden dahin, /
unter den Menschen gibt es keine
Treue mehr.
3 Sie lügen einander an, einer den
andern, /
mit falscher Zunge und
zwiespältigem Herzen reden sie.
4 Der Herr vertilge alle falschen
Zungen, /
jede Zunge, die vermessen redet.
5 Sie sagen: „Durch unsre Zunge
sind wir mächtig; /
unsre Lippen sind unsre Stärke. Wer
ist uns überlegen?“
6 Die Schwachen werden unterdrückt,
die Armen seufzen. /
Darum spricht der Herr: „Jetzt
stehe ich auf, / dem Verachteten bringe ich Heil.“
7 Die Worte des Herrn sind lautere
Worte, / Silber, geschmolzen im Ofen, /
von Schlacken geschieden, geläutert
siebenfach.
8 Du, Herr, wirst uns behüten /
und uns vor diesen Leuten für immer
erretten,
9 auch wenn die Frevler frei
umhergehen /
und unter den Menschen die
Gemeinheit groß wird.
(evtl.) Auslegung / geistlicher Impuls
Musik
Pogrom-Orte in der Pfalz
S 1:
Auch im Gebiet der Pfalz, in dem
seit Jahrhunderten Juden wohnten, kam es am 9. und 10. November 1938 an vielen
Orten zu Ausschreitungen gegen Stätten jüdischen Lebens. Wir nennen die Orte
der Pfalz, in denen Synagogen in Brand gesetzt, zerstört und geplündert wurden:
S 2:
Odenbach, Steinbach am Glan,
Gauersheim, Obermoschel, Kusel, Kirchheimbolanden, Steinbach bei Börrstadt,
Göllheim, Winnweiler, Hochspeyer;
S 1:
Landstuhl, Zweibrücken,
Münchweiler, Pirmasens, Albersweiler, Bad Bergzabern, Billigheim, Ingenheim,
Hagenbach, Oberlustadt, Leimersheim;
S 2:
Rülzheim, Landau, Herxheim,
Niederhochstadt, Schwegenheim, Edenkoben, Böchingen, Neustadt, Geinsheim,
Haßloch, Speyer;
S 1:
Schifferstadt, Böhl, Mutterstadt,
Niederkirchen, Bad Dürkheim, Freinsheim, Grünstadt, Kleinbockenheim, Lambsheim,
Frankenthal, Ludwigshafen.
Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 3+4
3. Wir stehn vor dir, beladen mit
unserer Väter Schuld.
Gib uns, die Last zu tragen, Kraft
und Geduld.
4. Wir heben Herz und Hände zu dir, o
Gott, und flehn:
Zeig uns den Weg der Umkehr und
hilf ihn gehn.
C. BITTE
Fürbitten (oder Alternative aus dem Anhang)
L:
Schwestern und Brüder,
der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs,
der Vater Jesu Christi hat sich als
der geoffenbart,
der den Leidenden nahe ist und sich
der Opfer erinnert,
damit heil wird, was unheil ist.
Ihm tragen wir unsere Bitten vor:
S1: Ungezählt sind die Toten, die
der Wahn des Nationalsozialismus gefordert hat, unvorstellbar sind die
Grausamkeiten, die Menschen durch Menschen angetan wurden.
S2: Wir bitten dich für die Opfer,
gleich welchen Bekenntnisses, welcher politischen Überzeugung, welcher
gesellschaftlichen Gruppe, welcher nationalen Herkunft.
– Stille –
L:
Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
(GL 358.3 / EG 178.10) Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
Alle:
Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarme dich
S1: Das Grauen des Nazi-Terrors ist für viele längst Geschichte - doch manche Opfer leben noch unter uns.
S2: Wir bitten dich um Rettung und
Trost für die Leidenden, wir flehen um deine Gerechtigkeit, die allein das Unheil
der Geschichte überwinden kann.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1: Oft stehen wir in der
Versuchung, die Vergangenheit vergessen zu wollen. Manchmal verdrängen wir das
Gestern, um allein im Heute zu leben.
S2: Wir bitten dich, der Kirche den Mut zur Erinnerung zu bewahren, damit aus der Geschichte Widerstand erwächst gegen alle Menschennot der Gegenwart.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1: Terror, Verfolgung, Mord sind auch heute noch für viele Menschen grausamer Alltag. „Menschenwürde“ ist für viele ein Fremdwort.
S2: Wir bitten dich um Frieden und Gerechtigkeit in Fülle für alle Menschen, wir rufen dich an, dass dein Reich kommen möge.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
L: Mit den Worten, die Jesus selbst
uns gelehrt hat, beschließen wir unsere Bitten:
Vater unser
L:
Gott, in aller Not und Bedrängnis
stehst du deinem Volk bei.
Auf dich hoffen wir,
dich loben und preisen wir,
heute und alle Tage bis in
Ewigkeit.
Alle: Amen.
Lied: Du forderst zum Gedenken, Str. 5+6
5. Du zeigst den Weg der Umkehr. Wir
wolln ihn dankbar gehen.
Hilf uns, in jedem Menschen den
Bruder sehn.
6. Reiß, Herr, die Mauern nieder, die
falscher Wahn erricht,
und lass uns allen leuchten dein
Angesicht.
D. ABSCHLUSS
Segensbitte
Der Herr segne uns und behüte uns.
Der Herr lasse sein Angesicht über
uns leuchten
und sei uns gnädig.
Der Herr wende uns sein Angesicht
zu
und schenke uns seinen Frieden.
(Amen.)
Und der Segen des allmächtigen
Gottes,
des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes
komme auf uns herab und bleibe bei
uns allezeit.
Amen.
– oder –
Gott, der in Freud und Leid bei uns
ist,
sei uns gnädig.
Er halte seine Hand schützend über
uns auf all unseren Wegen.
Es segne und behüte uns
der allmächtige und barmherzige
Gott,
der Vater und der Sohn und der
Heilige Geist.
Amen.
Musik
– oder –
Lied (z. B.:)
GL Speyer 978 – Lass uns in deinem Namen, Herr, die nötigen Schritte tun
oder
GL 291 – Wer unterm Schutz des Höchsten steht
oder
GL Speyer 955, Str. 1+3 / EG 170, Str. 1+3 – Komm, Herr, segne uns
Vespergottesdienst – ökumenischer Vespergottesdienst zum 9. November 2008
A. ERÖFFNUNG
- Eröffnungsruf
- Lied: Aus tiefer Not schrei ich zu dir
B. GEDENKEN – RUF ZUR UMKEHR – LOBPREIS
- Einführung
- Psalm 142
- Gebet
- Psalm 51
- Schriftlesung – Lk 6, 43–46 / Mt 7, 16-21
- Antwortgesang
- Auslegung des Schriftwortes
- Lobgesang Mariens (Magnificat)
C. BITTE
- Fürbitten
- Vaterunser
D. ABSCHLUSS
- Segensbitte
- Lied: Zieh an die Macht, du Arm des Herrn
A. ERÖFFNUNG
Eröffnungsruf:
GL 683 – O Gott, komm mir zu Hilfe.
Herr, eile, mir zu helfen. Ehre sei …
Lied:
GL 163, Str. 1+2 / EG 299, Str. 1+3 – Aus tiefer Not schrei ich zu dir
B. GEDENKEN – RUF ZUR UMKEHR – LOBPREIS
Einführung:
S 1:
Wir sind zusammengekommen,
um an die Ereignisse des 9.
November 1938 zu erinnern,
um der Opfer zu gedenken
und um der Versuchung zu
widerstehen, die Vergangenheit vergessen zu wollen.
S 2:
In den Nächten vom 9. bis 12.
November 1938 wurden in Deutschland, Österreich und im Sudetenland mehr als
1.000 Synagogen und Betsäle entweiht und verwüstet, hunderte von ihnen
niedergebrannt. Nazis brachen in die Gebäude ein, zerstörten die Innenräume, Torarollen,
Gebetbücher, sonstiges Inventar und Gemeindeakten. Wo kein Risiko für
Nachbargebäude bestand, legten sie Feuer. Feuerwehren wurden am Löschen
gehindert.
S 1:
Anlass der Ausschreitungen war ein
Attentat des 17jährigen Juden Herschel Grynszpan, der sich aus Deutschland nach
Paris abgesetzt hatte. Er wollte gegen die gewaltsame Abschiebung seiner Eltern
aus Deutschland nach Polen protestieren. In der Deutschen Botschaft in Paris
schoss er auf den Legationssekretär Ernst Eduard vom Rath. An den Folgen der
Schussverletzung starb vom Rath am 9. November 1938. Daraufhin entfesselte die
Naziführung den Pogrom.
S 2:
In jenen Tagen demolierten Nazis
und ihre Helfer außer den Synagogen auch Tausende Geschäfte jüdischer
Eigentümer und Wohnungen jüdischer Bürger, terrorisierten hunderttausende
Menschen und schändeten zahllose Friedhöfe. Sie ermordeten etwa hundert
Menschen, verhafteten 30.000 Männer, verschleppten sie in Konzentrationslager
und misshandelten sie dort wochenlang. Über 2.000 von ihnen kamen zu Tode.
Psalm 142
Wir geben den Opfern eine Stimme mit Psalm 142:
GL 756, 1+2
Gebet:
Man hat meinem Gott das Haus
angezündet
– und die Meinen haben es getan.
Man hat es denen weggenommen,
die mir den Namen Gottes schenkten
– und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen ihr eigenes Haus
weggenommen
– und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen ihr Hab und Gut, ihre
Ehre,
ihren Namen weggenommen
– und die Meinen haben es getan.
Man hat ihnen das Leben weggenommen
– und die Meinen haben es getan.
Die den Namen desselben Gottes
anrufen,
haben dazu geschwiegen
– ja, die Meinen haben es getan.
Man sagt: Vergessen wir’s und
Schluss damit.
Das Vergessene kommt unversehens,
unerkannt zurück.
Wie soll Schluss sein mit dem, was
man vergisst?
Soll ich sagen: Die Meinen waren
es, nicht ich?
– Nein, die Meinen haben so getan.
Was soll ich sagen?
Gott sei mir gnädig!
Was soll ich sagen?
Bewahre in mir Deinen Namen,
bewahre in mir ihren Namen,
bewahre in mir ihr Gedenken,
bewahre in mir meine Scham:
Gott, sei mir gnädig.
Bischof Klaus Hemmerle (Aachen, † 1994), Ansprache zum 9. November 1988
Psalm 51
Wir bitten um Vergebung mit Psalm 51:
GL 190, 1+2
Schriftlesung – Lk 6, 43–46 oder Mt 7, 16–21
Lk 6, 43–46:
In jener Zeit sprach Jesus zu
seinen Jüngern:
Es gibt keinen guten Baum, der
schlechte Früchte hervorbringt,
noch einen schlechten Baum, der
gute Früchte hervorbringt.
Jeden Baum erkennt man an seinen
Früchten:
Von den Disteln pflückt man keine
Feigen,
und vom Dornstrauch erntet man
keine Trauben.
Ein guter Mensch bringt Gutes
hervor,
weil in seinem Herzen Gutes ist;
und ein böser Mensch bringt Böses
hervor,
weil in seinem Herzen Böses ist.
Wovon das Herz voll ist,
davon spricht der Mund.
Was sagt ihr zu mir: Herr! Herr!,
und tut nicht, was ich sage?
Antwortgesang:
GL 193 – Herr, unser Gott, bekehre uns
Auslegung des Schriftwortes Lk 6, 43–46 / Mt 7, 16–21
Lobgesang Mariens (Magnificat):
GL 688 + 689
[ Aufgrund der Thematik eignet sich auch der dem Morgenlob (Laudes) zugeordnete
„Lobgesang des Zacharias“ (Benedictus): GL 89,1+2. ]
C. BITTE
Fürbitten (oder Alternative aus dem Anhang)
L:
Schwestern und Brüder,
der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs,
der Vater Jesu Christi hat sich als
der geoffenbart,
der den Leidenden nahe ist und sich
der Opfer erinnert,
damit heil wird, was unheil ist.
Ihm tragen wir unsere Bitten vor:
S1: Ungezählt sind die Toten, die
der Wahn des Nationalsozialismus gefordert hat, unvorstellbar sind die
Grausamkeiten, die Menschen durch Menschen angetan wurden.
S2:
Wir bitten dich für die Opfer, gleich welchen Bekenntnisses, welcher politischen Überzeugung, welcher gesellschaftlichen Gruppe, welcher nationalen Herkunft.
– Stille –
L:
Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
(GL 358.3 / EG 178.10) Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
Alle:
Herr, erbarme dich
Christus, erbarme dich
Herr, erbarme dich
S1: Das Grauen des Nazi-Terrors ist
für viele längst Geschichte - doch manche Opfer leben noch unter uns.
S2: Wir bitten dich um Rettung und Trost für die Leidenden, wir flehen um deine Gerechtigkeit, die allein das Unheil der Geschichte überwinden kann.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1: Oft stehen wir in der
Versuchung, die Vergangenheit vergessen zu wollen. Manchmal verdrängen wir das
Gestern, um allein im Heute zu leben.
S2: Wir bitten dich, der Kirche den Mut zur Erinnerung zu bewahren, damit aus der Geschichte Widerstand erwächst gegen alle Menschennot der Gegenwart.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
S1: Terror, Verfolgung, Mord sind auch heute noch für viele Menschen grausamer Alltag. „Menschenwürde“ ist für viele ein Fremdwort.
S2: Wir bitten dich um Frieden und Gerechtigkeit in Fülle für alle Menschen, wir rufen dich an, dass dein Reich kommen möge.
– Stille –
L: Lasset zum Herrn uns rufen: – oder – L: Gott, unser Vater
Alle: Herr, erbarme dich … Alle: Wir bitten dich, erhöre uns
L: Mit den Worten, die Jesus selbst uns gelehrt hat, beschließen wir unsere Bitten:
Vater unser
L: Gott, in aller Not und
Bedrängnis stehst du deinem Volk bei.
Auf dich hoffen wir,
dich loben und preisen wir,
heute und alle Tage bis in
Ewigkeit.
Alle: Amen.
D. ABSCHLUSS
Segensbitte
Der Herr segne uns und behüte uns.
Der Herr lasse sein Angesicht über
uns leuchten
und sei uns gnädig.
Der Herr wende uns sein Angesicht
zu
und schenke uns seinen Frieden.
(Amen.)
Und der Segen des allmächtigen
Gottes,
des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes
komme auf uns herab und bleibe bei
uns allezeit.
Amen.
– oder –
Gott, der in Freud und Leid bei uns
ist,
sei uns gnädig.
Er halte seine Hand schützend über
uns auf all unseren Wegen.
Es segne und behüte uns
der allmächtige und barmherzige
Gott,
der Vater und der Sohn und der
Heilige Geist.
Amen.
Lied:
GL 304, Str. 1+3 / EG 377, Str. 1+4 – Zieh an die Macht, du Arm des Herrn
[ oder, falls oben statt des Magnificat das Benedictus gewählt wurde:
GL 262 – Den Herren will ich loben (Text: nach dem Magnificat) ]
…
…
Für die Vorlagen wurden folgende Publikationen verwendet:
ERINNERUNG UND UMKEHR. Novemberpogrome 1938. 9. November 2008. Ökumenischer Gottesdienst. Stunde der Erinnerung, hrsg. von der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Baden-Württemberg, 2008.
Handreichung zum Gedenken an die Deportation von Juden aus der Pfalz, dem Saarland und Baden nach Gurs am 22. Oktober 1940, Bischöfliches Ordinariat Speyer ... Erst. von Bernhard Böhm ..., Speyer, September 2000.
Miserere. Vorlage für einen Gedenkgottesdienst einer christlichen Gemeinde im Angesicht des jüdischen Volkes; erarb. von Hans Hermann Henrix und Erich Zenger, Deutsches Liturgisches Institut, Trier, 2003.
Ökumenische Gottesdienste. Anlässe, Modelle und Hinweise für die Praxis, hrsg. vom Deutschen Liturgischen Institut, Trier ... Erarb. von Eberhard Amon ..., Freiburg [u.a.] : Herder [u.a.], 2003.
„50 Jahre danach“. Ökumenisches Gedenken zum 50. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938. Dokumentation einer zentralen Veranstaltung am 10. November 1988 in Landau, in: Ökumenischer Informationsdienst, hrsg. vom Bischöflichen Ordinariat Speyer, Abteilung Ökumene, Februar 1989.
Quelle: Abteilung Erwachsenenbildung / Ökumenische Kommision des Bistums Speyer (Hg.), Erinnern Gedenken Mahnen. Anregungen für ein Gedenken im Gottesdienst anlässlich des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht -9. November 2008, Speyer 2008 und: http://cms.bistum-speyer.de/www2/index.php?mySID=b595e0b2215d74c75a3a19bd6625b82d&cat_id=31344.