Rückblick auf die Tagung Nostra Aetate 4. Eine bleibende Irritation für die theologischen Disziplinen?
Unter der Leitung von Reinhold Boschki und Josef Wohlmuth verfolgte die Tagung (vom 10. bis zum 11.03.2014 im KSI Bad Honnef) das Ziel, die Aufmerksamkeit der neueren Konzilsforschung auf die Konzilserklärung Nostra Aetate als „Senfkorn des Konzils“ (R. A. Siebenrock) zu lenken, wobei besonders das Verhältnis des Christentums zum Judentum und damit das Kapitel Nostra Aetate 4 Gegenstand des Interesses war.
Die Teilnehmer aus insgesamt fünf Ländern diskutierten in kurzen Impulsvorträgen die Bedeutung von Nostra Aetate 4 für ihre jeweiligen Disziplinen und das Ganze der Theologie. Die Ergebnisse dieser Impulse und der angeregten Diskussionen werden pünktlich zum 50jährigen Konzilsjubiläum in Form eines Sammelbandes vorgelegt. Es folgen einige Eindrücke in Bild und Text.
Reinhold Boschki und Daniel Krochmalnik (Heidelberg) in der Diskussion des ersten Impulses aus jüdischer Perspektive. Diskutiert wurden u.a. die Möglichkeiten des akademischen Austauschs im Rahmen biblischer Studien, philosophisch-theologischer Diskurse und der Rückbesinnung auf gemeinsame Traditionen, etwa hinsichtlich der Lernkulturen im Judentum, im Christentum und im Islam.
Gregor Maria Hoff (Salzburg), Josef Wohlmuth (Bonn) und Francesco Paolo Ciglia (Chieti-Pescara, Italien) im Gespräch über Nostra Aetate 4 als Anfrage an die systematische Theologie und die Religionsphilosophie. Nachdem Francesco Paolo Ciglia ausgehend von der Philosophie Franz Rosenzweigs die gegenseitige Verwiesenheit von Judentum und Christentum darlegte, verknüpfte Gregor Maria Hoff metaphorologische und diskurstheoretische Analysekategorien, um die Diskursivität und Perspektivität christlicher Theologie mit Blick auf Israel aufzuzeigen.
Praktisch-theologische Anfragen von Nostra Aetate 4 an das Ganze der Theologie stellten Christian Bauer (Innsbruck), Albert Gerhards (Bonn) und Jan Woppowa (Paderborn). Nachdem Christian Bauer das Verhältnis von Tora und Halacha als mögliches Vorbild für den Dialog von Dogmatik und Pastoral mit Blick auf eine Theorie gelingenden Lebens verhandelte und Albert Gerhards die Entwicklungen im jüdisch-christlichen Dialog im Kontext der Liturgiewissenschaften skizzierte, fragte Jan Woppowa nach Ressourcen für eine Theorie religiöser Bildung in der jüdischen Tradition, die er etwa im Neuen Lernen Rosenzweigs oder der Konzeption von Erwachsenenbildung bei Ernst Simon ausmachte.
Am Dienstag stellten Ulrich Berges (Bonn) und Maria Neubrand (Paderborn) die Frage nach der Bedeutung von Nostra Aetate 4 für die Exegese. Ausgehend vom gemeinsamen Erbe des Tenachs / des Alten Testaments mahnte Ulrich Berges notwendige Erweiterungen des Konzilsdokumentes mit Blick auf das Judesein Jesu Chrisi und die gemeinsame Erwartung des Gottesreiches an. Maria Neubrand markierte als Desiderat für die Zukunft der Neutestamentlichen Exegese die Überwindung antijudaistischer Interpretationsmuster, die noch immer reproduziert werden.
Ökumenisch-theologische Perspektiven auf Nostra Aetate 4 verhandelten Andreas Pangritz (Bonn) und Thomas Fornet-Ponse (Jerusalem). Nachdem Andreas Pangritz Verhältnisbestimmungen von Judentum und Christentum sowie die Rezeption des Konzils in der evangelischen Theologie darstellte und in der Diskussion einen Blick auf aktuelle Herausforderungen in den evangelischen Kirchen vornahm, formulierte Thomas Fornet-Ponse Impulse, die die innerchristliche Ökumene aus dem Dialog mit dem Judentum gewinnen könnte, etwa eine positive Fassung des Gesetzbegriffes und eine Hermeneutik der Kontroverse.
Als Bilanz und Ausblick resümierte Hans Herman Henrix die Rezeption von Nostra Aetate im Lehramt und im theologischen Denken und lenkte den Blick auf zukünftige Herausforderungen der Nostra Aetate-Rezeption im Kontext der Inkarnationstheologie, der Gemeindetheologie und der theologische Auseinandersetzung mit Israel. Christian Rutishauser (Zürich) votierte für eine stärkere Hinwendung zur Spiritualität als Ort des Dialogs zwischen Judentum und Christentum und gab praktische Impulse für die (Wieder)Einführung des Festes der Beschneidung Jesu und eines Tages des Judentums.